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Lieferengpässe und Chipmängel – was ist dran?

Laut Experten werden in diesem Jahr weltweit 4 Millionen Autos weniger gebaut als geplant. Der Grund ist der Mangel an Halbleitern. Auch Computer- und Handyhersteller leiden unter einem Mangel an elektronischen Bauteilen. Eine schnelle Besserung der Lage ist bislang nicht in Sicht. Die Gründe für die Lieferengpässe sind im Folgenden aufgeführt.

1 Fabriken und Produktionshallen sind mit Aufträgen überhäuft

Der durch die Ereignisse des Jahres 2020 angeheizte digitale Aufschwung treibt das Geschäft in der Chipindustrie an. Die neuesten Zahlen bestätigen dies. Beispiel dafür ist Dialog Semiconductor: Der Konzern ist der letzte bekannte europäische Anbieter. Dialog Semiconductor hat kürzlich die Ergebnisse des ersten Quartals veröffentlicht, aus denen hervorgeht, dass sich der Umsatz gegenüber dem Vorjahr auf 369 Millionen US-Dollar fast verdoppelt hat.

Viele Unternehmen in diesem Bereich sind in letzter Zeit im gleichen Tempo gewachsen. Doch mit diesem Boom haben nur wenige gerechnet. Und nun kommen Auftragsfertiger, insbesondere in Fernost, mit der Versorgung nicht mehr zurecht. So haben Chiphersteller errechnet, dass das jährliche Umsatzwachstum bis zu 6% beträgt.

Der World Semiconductor Trade Statistics Verband erwartet in diesem Jahr ein Wachstum von mehr als 10%. Das bedeutet, dass die Fabriken voll ausgelastet sind. Auch Materialien fehlen: Um einen Chip herzustellen, werden rund 300 verschiedene Stoffe benötigt.

2 Lange Liefer- sowie Bauzeiten

Die Produktion erfordert je nach Halbleitertyp 500 bis 1500 Schritte. Dies dauert 10 bis 20 Wochen. Bestellt ein Hersteller heute also, muss er bestenfalls drei Monate warten. Heute kann die Lieferzeit für Mikrocontroller 6 bis 12 Monate betragen.

Neue Fabriken bringen nur langfristig Linderung: Der Bau einer großen Fabrik wird 3 bis 5 Jahre dauern. Darüber hinaus müssen bis zu 6.000 Mitarbeiter eingestellt und geschult werden. Auf diese Weise kann eine Verbesserung in etwa einem Jahr erreicht werden. All dies erfordert jedoch viel Zeit und investierte Milliarden.

3 Ältere Systeme sind immer noch sehr gefragt

Die Industrie verwendet Siliziumwafer unterschiedlicher Größe für Bauteile. In den letzten 10 Jahren sind Fabriken entstanden, die moderne 300-mm-Versionen der Wafer herstellen. Viele Halbleiter sind jedoch nicht für 300 mm ausgelegt. Dem Ausleger fehlt jetzt die Ausrüstung, um kleinere Scheiben zu handhaben. Aber die Anschaffung neuer Geräte ist nicht einfach.

Die Bestelldauer betrug unter normalen Bedingungen 4 bis 6 Monate. Zu diesem Zeitpunkt muss der Auftraggeber 12 Monate oder auch länger warten.

4 Für die Expansion sind große Geldbeträge erforderlich

Beratungsexperten schätzen, dass die Halbleiterindustrie in den nächsten 10 Jahren fast 3 Billionen US-Dollar für neue Anlagen und Forschung ausgeben muss. Um einen jährlichen Anstieg der Chipnachfrage um 5% zu bewältigen, muss sich die Kapazität bis 2030 verdoppeln.

Trotz des Booms fragen sich Halbleiterhersteller, wie viel sie genau investieren. Denn trotz des Aufwärtstrends können Maschinen stillstehen, weil manche Chips derzeit nicht so gefragt sind. Der größte Halbleiterhersteller in Deutschland, Infineon, meldete beispielsweise, dass die Leerstandskosten im abgelaufenen Geschäftsjahr 600 Millionen Euro betrugen.

Darüber hinaus ist eine Fabrik für die meist integrierten Chips etwa zehn Milliarden Dollar wert. Somit sind die Hindernisse für den Bau neuer Fabriken hoch. Top-Manager wie der Intel-Chef und der CEO von Infineon gehen deshalb davon aus, dass die Lieferschwierigkeiten die nächsten Jahre anhalten werden.

5 Die Aufholspiele zwischen den Staaten stehen erst am Anfang

Südkorea hat beschlossen, seine Halbleiterindustrie aktiv zu fördern. Die USA, Japan und die EU werden Milliarden von Förderprogrammen starten. Dadurch könnten mehr Fabriken entstehen, als Unternehmen ohne Unterstützung gebaut hätten. Aber es wird Jahre dauern, die Fabriken zu starten.

Der Anteil Europas an der gesamten Wertschöpfungskette hat abgenommen, von der Produktentwicklung bis zur Fertigungskapazität. Damit ist die EU auf Hochleistungschips aus Asien angewiesen. Dies zu ändern ist ein riesiges Problem, obwohl einige es sogar für unmöglich halten.

Der Infineon-Chef rät den Beteiligten: Heute sollten sich alle von der pünktlichen Lieferung verabschieden und besser etwas mehr Chips auf Lager halten.

Kunden könnten sich an Chipfabriken beteiligen

Vielleicht sollten sich Kunden zu ihrem eigenen Vorteil finanziell an Chipfabriken beteiligen? Dies würde es Halbleiterherstellern erleichtern, dringend benötigte Kapazitäten zu sichern. Gleichzeitig konnten sie auf diese Weise eine bestimmte Anzahl von Chips erhalten.

Käufer von Chips sollten natürlich sowieso in Erwägung ziehen, diese zu lagern. Die Lieferengpässe zeigen, wie schwer es für die Halbleiterindustrie ist, plötzliche Nachfrageschwankungen zu bewältigen. Tatsächlich wird heute viel mehr Lager benötigt.

Aber auch ohne Subventionen wird Europa sein Ziel, den Anteil der weltweiten Chipproduktion von 10% auf 20% zu steigern und damit theoretisch autark zu werden, nicht erreichen können. Bei aller öffentlichen Unterstützung ist Augenmaß wünschenswert. Wenn der Staat zu großzügig subventioniert, entstehen Werke, die letztlich unnötig sind.